Abel gegen Powers

Als erster Spion überquerte am Samstag, dem 10. Februar 1962, um 8.44 Uhr, der US-Amerikaner Francis Gary Powers die weiße Markierungslinie auf der Brücke, die die beiden Machtblöcke an dieser Stelle optisch und formal voneinander trennte. Der Hauptmann der amerikanischen Luftwaffe war knapp zwei Jahre zuvor, am 1. Mai 1960, mit einem Aufklärungsflugzeug vom Typ “U2” über der Sowjetunion unterwegs gewesen, um Luftbilder zu schießen. Die Sowjetmilitärs schossen zurück, aber mit schärferen Waffen: Mit Hilfe einer Flugabwehrrakete wurden Powers` Fotoarbeiten unterbunden. Powers landete erst mit dem Fallschirm und dann im Gefängnis.


Francis Gary Powers nach seiner Festnahme

Im Oktober 1960 verurteilte ihn der Militärsenat des obersten sowjetischen Gerichts zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe. Für Powers kam die Freilassung zwei Jahre später offenbar überraschend. Noch wenige Tage zuvor hatte er seiner Frau geschrieben, daß er die volle Haftzeit werde absitzen müssen. Am Donnerstag, dem 8. Februar 1962, wurde er jedoch plötzlich vom Gefängnis in Wladimir, 150 Kilometer östlich von Moskau, nach Berlin verfrachtet, um von dort aus den “langen Marsch” über die Glienicker Brücke anzutreten. Dort stand er dann an jenem 10. Februar um 8.25 Uhr bereit, um einen - objektiv gemessen - kleinen und doch für ihn ganz persönlich so großen Schritt zu machen.

Ausgetauscht werden sollte der US-Pilot mit Fotoauftrag gegen einen “Kollegen”, der - im Gegensatz zu ihm - aus seinen fotografischen Fähigkeiten keinen Hehl machte: Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel vom Sowjetischen Geheimdienst. Dieser war 1948 mit einer gefälschten Geburtsurkunde illegal aus Kanada in die USA eingewandert und hatte im New Yorker Stadtteil Brooklyn ein Porträtmaler- und Fotostudio eröffnet.




Spionage-Utensilien, die bei der Durchsuchung von Abels Wohnung sichergestellt wurden.


Neun Jahre lang knüpfte er von dort aus hauptverantwortlich das sowjetische Spionagenetz in den USA. Von einem Überläufer wurde er 1957 verraten und von einem New Yorker Gericht zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt.



Rudolf Abel in den Händen des FBI (August 1957)


Viereinhalb Jahre seiner Haft saß er im Zuchthaus von Atlanta (Georgia) ab, wobei ihm das Leben dort durch erhebliche finanzielle Zuwendungen seitens der Sowjetunion recht angenehm gestaltet werden konnte.
Nachdem Powers die Brücke um 8.44 Uhr in Richtung Westberlin überquert hatte, mußte Abel noch einen Augenblick warten. Um 8.50 Uhr war es dann soweit. Abel passierte den Grenzstrich in Richtung Potsdam.